wir packen früh,
so dass wir rechtzeitig zum sonnenaufgang auf dem schutzwall sind. ich will
unbedingt das haus an der hospital street bei tageslicht sehen. ich erinnere
mich genau, wie dieses im film ausgesehen hat. ein älterer mann zupft an den
pflanzen davor. ich frage ihn, ob das eventuell das gesuchte kleine haus sei,
wo nicolas bouvier 1955 während 9 monaten dahinsiechte. ja, hier sei ich
richtig. gerne würde er uns das zimmer auch zeigen. wow! seine beiden hübschen
töchter, die eine medizinische praxisassistentin in colombo, die andere
dentalhyienikerin in matara, führten uns in den oberen stock. und
augenblicklich fühlte ich mich um ein gutes halbes jahrhundert zurückversetzt.
zwei kahle bettstätten und sonst gar nichts, die wände verfleckt. nein, seit seinem
weggehen und dem anschliessend von christoph kühn gedrehten film sei hier
nichts gemacht worden. wir werden zum morgentee gebeten. der vater, der damals
ein kleiner junge war, kann sich gut an den exotischen gast erinnern. für 1
rupie am tag durfte er bleiben. bereits
liegen allerlei verblasste fotos auf dem tisch ausgebreitet. so sehen wir auch
ein bild des grossvaters, also des damaligen hausherrn, wie er nach seinem tod
aufgebahrt in weissen tüchern und umrahmt von riesigen elefantenstosszähnen im
kreis seiner familie verabschiedet wird. ich bin gleichzeitig beeindruckt und
begeistert. ich zitiere hier christop kühn: ‚ich reise, um zu lernen, und
niemand hatte mich bis jetzt gelehrt, was ich hier entdecke’. christoph
kühn hätte nach dem tsunami der familie viel geholfen. châpeau!
Reisen war Nicolas Bouviers Leidenschaft. Er erkundete den Balkan und halb Asien, bis er 1955 auf Ceylon zum Stillstand kam. Der Genfer Reiseschriftsteller wurde krank und war quasi neun Monate an sein Zimmer gefesselt. 50 Jahre danach ist Christoph Kühn seinen Spuren gefolgt.
Reisen war Nicolas Bouviers Leidenschaft. Er erkundete den Balkan und halb Asien, bis er 1955 auf Ceylon zum Stillstand kam. Der Genfer Reiseschriftsteller wurde krank und war quasi neun Monate an sein Zimmer gefesselt. 50 Jahre danach ist Christoph Kühn seinen Spuren gefolgt.
Als Christoph Kühn 1955 in Zug geboren wurde, erlebte der dazumal 26jährige Genfer Nicolas Bouvier eine schwere Krise, die sein Leben verändern sollte. Bouvier war 1953 mit seinem Freund Thierry Vernet aus der Schweiz aufgebrochen - gen Osten zu. Mit ihrem Vehikel, einem Topolino, bereisten sie Jugoslawien, die Türkei, den Iran, Pakistan, Afghanistan.
In Kabul beschloss Thierry, ein Treffen mit seiner Verlobten Floristella auf Ceylon zu arrangieren. Eher widerwillig zog Bouvier seinem Freund zuliebe mit. In Galle, einem romantischen Flecken im Süden Ceylons, strandeten sie schliesslich und im Guesthouse an der Hospital Street 22 sollte Bouvier die nächsten neun Monate verbringen - von Malaria und Gelbsucht geschwächt. Thierry und Floristella zog es zurück in die Heimat. Nur Bouvier war wild entschlossen, zu bleiben.Er war seiner Umgebung ausgesetzt, heimgesucht von Skorpionen, Ungeziefern und Halluzinationen. Er wurde zum Gefangenen seiner selbst, seiner Ängste.
Erst 23 Jahre später war Bouvier imstande, die an der Hospital Street 22 erfahrene Selbstfindung niederzuschreiben, im Buch «Poisson scorpion». Basierend auf diesen Aufzeichnungen hat der Dokumentarfilmer Kühn Galle, den Ort der Läuterung Bouviers, aufgesucht, hat Zeitzeugen befragt, alte Filme und Fotos ans Licht geholt. Reiseaufnahmen von damals, Aussagen von Weggenossen und Menschen von Sri Lanka, nicht zuletzt visionäre, assoziative Bilder, grobkörnig verfremdet, welche Bouviers halluzinatorische Trips skizzieren, verschmelzen zu einem filmischen Essay.
Bruno Ganz spricht verschiedene Bouvier-Texte in seiner sonoren Art aus dem Off. In diesen intensiven inneren Phasen wird der Film zum Hörbild. (In der französischen Originalversion spricht Jean-Luc Bideau den Part.) Regisseur Kühn gelingt dabei eine suggestive Verdichtung. Ihm geht es nicht um ein Porträt des bei uns weniger bekannten Reiseschriftstellers, sondern um die Spiritualität und Philosophie des Reisens. Der Weg wird zum Ziel. Bouvier (1929-1998) brach nach Asien auf, um bei sich anzukommen und schrieb: «Man glaubt, dass man eine Reise macht, doch bald stellt sich heraus, dass die Reise einen macht - oder kaputtmacht.»
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